Napoleons Triumph
Napoleons Triumph ist eine Fortführung von
Bonaparte bei Marengo. Das grundlegende
Design der Spielsteine, des Spielplans und der
Spielmechanismen stammen von diesem.
Da Bonaparte bei Marengo großen Zuspruch
fand, war es naheliegend, sein Spielsystem auf
eine andere Schlacht zu übertragen. Die Wahl
fiel hierbei auf Austerlitz, weil es mich reizte,
ein Konfliktsimulationsspiel zu entwickeln,
das einfach, groß und gleichzeitig schnell
zu spielen ist; Eigenschaften, die – meines
Wissens nach – noch nie in einer Konfliktsimulation
vereint wurden. Austerlitz war zwar
eine größere Schlacht als Marengo, aber es
war auch eine kürzere. Selbst bei doppelt so
vielen Spielsteinen, würde das neue Spiel nur
halb so viele Runden dauern; und so hatte ich
die Hoffnung, daß sich diese beiden Effekte
gegenseitig aufwiegen würden, und daß ein
Spiel entstehen könnte, das doppelt so groß
wie sein Vorgänger ist, aber dennoch nicht
länger dauert.
Ein großes Spiel mit kurzer Spieldauer war aber nicht mein einziges Ziel. Schließlich hofft jeder Handwerker, daß sein neues Werk das alte an Qualität übertrifft, und so auch ich. Ein Aspekt, der mir besonders verbesserungswürdig erschien, läßt sich mit "Kommando und Kontrolle" umschreiben. Bonaparte bei Marengo verfügt über sehr abstrakte Kommando-Regeln. Das neue Spiel sollte diesen Aspekt der Napoleonischen Kriege detaillierter widergeben. Ursprünglich hatten die Spielsteine deswegen eine explizite Korpszugehörigkeit und es gab einige Regeln, die das Mischen von Korps erschwerten. Vom Standpunkt der anvisierten geringen Kompliziertheit war diese Idee reizvoll, aber leider wollte sie nicht funktionieren. Die Korpszugehörigkeiten zogen den Spielaufbau in die Länge und liefen dem Prinzip der Geheimhaltung zuwider (man erhält zuviele Information, wenn ein Spielstein aufgedeckt wird). Vor allem aber hatte man immer noch das Gefühl, daß sich die Armee aus 50 bis 60 Regimentern bzw. Brigaden zusammensetzt – statt aus 8 bis 9 Korps. Nach einer langen Phase des Grübelns und Schmollens führte ich schließlich einen neuen Spielsteintyp ein: den Kommandeur. Mit den Kommandeuren funktionierte alles sehr gut. Zudem trat die gewünschte Befehlshierarchie zutage: Blickt ein Spieler auf das Spielbrett als Ganzes, so denkt er wie ein Armeebefehlshaber; analysiert er jedoch eine bestimmte Situation, so fängt er an, wie ein Korps-Kommandeur zu denken, und trifft Entscheidungen für bestimmte Regimenter und Brigaden (beide werden im Spiel unter dem Begriff "Regiment" subsumiert). Die Kommandeure lösten das Problem, das sie lösen sollten (wahrscheinlich werden Spieler, die Bonaparte bei Marengo kennen, Kommandeure und Korps als den markantesten Unterschied wahrnehmen), aber sie verursachten einige neue Probleme: Es dauerte zum Beispiel sehr lange, die genauen Kommando-Regeln auszufeilen, das optische Design der Kommandeure zu vollenden und den Prototypen zu testen. Weiterhin explodierten plötzlich die Produktionskosten. Vor allem aber wurden zwei komplett neue Regelabschnitte eingeführt, womit die Kompliziertheit des Spiels enorm zunahm. Als ich die Regeln von Bonaparte bei Marengo an die Eigenheiten von Austerlitz anzupassen begann, wurde mir zudem mehr und mehr klar, daß "Kommando und Kontrolle" nicht das einzige Feld waren, das es zu beackern galt. Als zweites Hauptproblem entpuppte sich der Kampfmechanismus. Marengo war im Gegensatz zu Austerlitz kein fulminanter Zusammenstoß zweier Armeen. Deswegen waren die für Marengo konzipierten Regeln des "Sturmangriffs" nun viel zu harmlos. Mit dem "Sturmangriff" können Kämpfe zwar schnell abgewickelt werden, aber für die große Truppendichte von Austerlitz waren sie ungeeignet: Sie geben dem Verteidiger zu viele Vorteile, sind nicht "gewalttätig" genug und stellen die Spieler zu selten vor vertrackte Probleme. Auf den ersten Blick schien alles durch ein Aufpeppen der Sturmangriffs-Regeln lösbar. Aber die Kompliziertheit des Spiels war ohnehin schon weit gediehen (aufgrund der eingeführten Kommando-Regeln), und somit war klar: Irgendetwas mußte über Bord. Entweder mußte ich den Wunsch nach einem wenig komplizierten Spiel fallen lassen; oder ich mußte die Kompliziertheit an anderer Stelle entscheidend verringern. Es ist immer leicht, Probleme eines Spiels durch Einführen neuer Regeln zu lösen. Die große Kunst besteht jedoch im Hinauswerfen von Regeln. Der Satz "Es tut mir Leid, daß dieser Brief so lang geraten ist, aber ich hatte keine Zeit für einen kürzeren", gilt für das Schreiben im Allgemeinen, und erst recht für das Schreiben von Regeln. Eine Spielregel besteht aus verschiedenen Regel-Elementen, welche dicht miteinander verwoben sind: Entfernt man aus diesem Gewebe eine Regel, so tauchen woanders Löcher auf, die nun wieder zu stopfen sind. Entfernt man viele Regeln, so tauchen überall Löcher auf, und es ist fast unmöglich überhaupt noch den Überblick zu behalten. Meist wird also genau das Gegenteil erreicht: Die Regeln, die man zum Flicken der Löcher braucht, bringen mehr Kompliziertheit in das Spiel zurück als die hinausgeworfenen Regeln entfernt hatten. Es dauerte recht lange, aber schließlich hatte ich ein neues Kampfsystem ausgetüftelt. Dieses reduziert die Zahl der Regeln, indem es die drei Gefechtsarten von Bonaparte bei Marengo ("Vorstoß", "Bombardement" und "Sturmangriff") zu einer einzigen Angriffsform bündelt. Zwar wird jeder, der Bonaparte bei Marengo kennt, die Verwandtschaft der beiden Systeme erkennen, doch alles in allem sind die Veränderungen zu massiv, als daß man von von einer bloßen Modifikation sprechen kann. Es ist ein wirklich neues Kampfsystem entstanden. Durch dieses neue Kampfsystem wurde das Regelwerk wieder schlank und das gewünschte wenig komplizierte Spiel war wieder zum Greifen nah. Aber nicht nur das! Ganz besonders gefiel mir, daß dieses Kampfsystem dem Spiel eine völlig neue Qualität verlieh; noch dazu eine, die ich mir von Beginn an gewünscht hatte. Als ursprüngliches Motto hatte ich mir "Weniger Schach, mehr Poker" vorgegeben. Bonaparte bei Marengo ist ein sehr denkintensives Spiel, und genau das gefällt mir an ihm. Aber Napoleons Triumph sollte nicht nur den Intellekt der Spieler, sondern auch ihre Nerven auf die Probe stellen. Das neue Kampfsystem erreicht genau das, weil es enorm "gewalttätig" ist: Ein kleiner Fehler und schon kann ein ganzes Korps zertrümmert sein. Will man seine Siegchancen bei einem Angriff erhöhen, so kann man mehr Truppen in diese Attacke werfen; aber je mehr Truppen man hineinwirft, um so größer ist das Desaster, wenn es schief geht. Konnte man bei Bonaparte bei Marengo noch fast jede Unwägbarkeit durch sorgfältiges Planen und Agieren eliminieren, so muß man bei Napoleons Triumph oftmals sein Herz in die Hand nehmen und sich mit starken Nerven ins Getümmel stürzen – wohlwissend, daß das katastrophal enden kann. Während die neuen Kommando- und Kampfregeln die Grundlage für ein Spielsystem schaffen, mit dem man im Prinzip jede große Schlacht der napoleonischen Zeit simulieren kann, ist bei der Schlacht von Austerlitz noch eine wichtige Besonderheit zu berücksichtigen. Der wesentliche Charakterzug von Austerlitz besteht in der von Napoleon gestellten Falle: Es gelang ihm, die Alliierten hinsichtlich seiner Truppenstärke und seiner Absichten zu täuschen. Diese schluckten den ausgelegten Köder und griffen an. Diesen Vorgang im Spiel abzubilden, ist sehr schwer. Natürlich kann man die Siegbedingungen derart gestalten, daß die Alliierten angreifen müssen, aber es ist sehr unwahrscheinlich, daß solch ein Angriff gelingt; und damit ist es sehr unwahrscheinlich, daß der Alliierte Spieler das Spiel gewinnt. Wenn aber die Siegbedingungen den Alliierten Spieler nicht zu einem Angriff zwingen, weil er allein durch ein Verharren in der Defensive gewinnen kann, dann fühlt sich das Ganze nicht wie Austerlitz an. Dieses Dilemma hatte mich lange Zeit beschäftigt. Eine schier endlose Zahl von Ideen (variable Siegbedingungen, geheime Siegbedingungen, zufällige Siegbedingungen, etc.) wurde getestet und verworfen. Erst als ich die Siegbedingungen an das Erscheinen der französischen Verstärkungen koppelte, war das Problem gelöst. Jetzt ist der Alliierte Spieler gezwungen anzugreifen. Sobald aber der Französische Spieler seine Verstärkungen ins Spiel bringt (und damit Napoleons Falle zuschnappen läßt), erleichtern sich seine Siegbedingungen und er muß nur noch über die Runden kommen. Zum Abschluß möchte ich noch 2 Bemerkungen machen: Mit dem Szenario "1. Dezember" kann man den Tag vor der historischen Schlacht mit einbeziehen. Zwar erhöht sich dadurch die Spielzeit ein wenig, doch ich glaube, daß dieses Szenario das interessantere ist: Es bietet beiden Spielern mehr Raum und mehr Entfaltungsmöglichkeiten. Aus diversem Feedback, das ich noch vor der Veröffentlichung erhielt, entnahm ich, daß das Szenario "1. Dezember" zu hypothetisch sei – im Gegensatz zum historischen "2. Dezember". Meiner Ansicht nach ist dies ein Vorurteil: Beide Szenarien sind gleichermaßen hypothetisch und gleichermaßen historisch. Beide nehmen als Ausgangsgrundlage eine reale historische Situation zu einem bestimmten Zeitpunkt; und beide lassen die Spieler von da an die hypothetischen Abläufe erkunden. Die Team-Spiel-Regeln entstanden erst im späten Entwicklungsprozeß. Einer der Gründe ist, daß es für Bonaparte bei Marengo eine gute Solitärvariante gibt, während sich diese für Napoleons Triumph nicht entwickeln lassen wollte – welches sich aber im Gegenzug hervorragend als Teamspiel eignet. Obwohl ich weiß, daß viele Spieler schon Schwierigkeiten haben, einen Mitspieler zu finden, hoffe ich, daß der eine oder andere einmal Gelegenheit haben wird, diese unterhaltsame Variante auszuprobieren. Bowen Simmons
übersetzt von Richard Stubenvoll |