Betrachtungen des Autors von

MARIA

Es hat alles zwei Seiten; aber erst wenn man erkennt, daß es drei Seiten sind, erfaßt man die Sache.
(Heimito von Doderer)

Nach dem Erscheinen von Friedrich war es naheliegend, ein Spiel über die Vorgeschichte, also über den Österreichischen Erbfolgekrieg zu machen. Nichts sei leichter als das, dachte ich anno 2004, denn die grundlegenden Mechanismen (Ziehen, Versorgung, Kämpfe) sollten beibehalten werden; das Spiel müßte lediglich dem historischen Sachverhalt angepaßt werden.

War die charakteristische Grundessenz des Siebenjährigen Krieges der archaische Überlebenskampf Preußens und der wundersame Tod der Zarin, präsentiert sich der Österreichische Erbfolgekrieg jedoch wesentlich verzwickter: Er ist geprägt von Diplomatie, untreuen Bundesgenossen, schnellen Wechseln zwischen weit auseinanderliegenden Kriegsschauplätzen, und vor allem durch die Tatsache, daß zu verschiedenen Zeitpunkten stets ein anderes Land in der strategischen Defensive war. Zum Beispiel drängte Österreich 1743 die Franzosen innerhalb eines Jahres von Prag bis hinter den Rhein, um dann im Sommer 1744 innerhalb weniger Wochen von Lothringen zurück nach Prag zu eilen. – Ein Spiel, das nicht in der Lage war, diese ständigen Auf und Abs und diese sprunghaften Hin und Hers abzubilden, hätte sein Thema verfehlt. Außerdem wollte ich ein kürzeres Spiel als Friedrich, und das, obwohl hier der reale Konflikt ein Jahr länger war! Und das, obwohl politisch und strategisch viel mehr passierte! Ich war mir nicht sicher, ob ich damit nicht die Quadratur des Kreises anstrebte. Und in der Tat: Das eingangs erwähnte "Nichts sei leichter als das" erwies sich bald als schwere Verblendung, und bis ich die fehlende dritte Seite im Design aufgespürt hatte, vergingen schließlich Jahre.

Das erste Problem war bereits der Spielplan: Wie all diese Schauplätze (Flandern, Italien, Böhmen, Schlesien) zusammenbringen? Kurzerhand wurde der italienische Schauplatz aus dem Spiel geworfen – und damit mußte ich mir auch keine Gedanken machen, wie die dort kämpfenden Mächte (Spanien, Sardinien-Piemont, Neapel, etc.) ins Spiel zu integrieren wären. Dieser Schritt erschien mir vertretbar, da der Konflikt in Italien erst 1743 so richtig ins Rollen kam.

Das nächste Problem folgte stehenden Fußes: Der erste Spielplan war noch eine zusammenhängende Karte. Aufgrund der ungünstigen geographischen Ausdehnung bestand dieser zu ca. 60% aus Gebieten, die nie bespielt wurden, und dummerweise befand sich dieses Vakuum auch noch im Zentrum. Das war fürchterlich! Man wurschtelte mit seinen Spielfiguren an der Peripherie herum und fragte sich ständig: Was ist denn das da für ein Loch in der Mitte? – Deswegen teilte ich den Spielplan, skalierte beide Hälften unterschiedlich und drehte sie gegeneinander (dies ist der Grund, warum man nur im unteren Bereich die Karte wechseln kann), und voila! Das spielte sich gleich viel besser. — Zwei kleine Anmerkungen: 1.) Auf der Spielplanrückseite sieht man die beiden Karten eingesetzt in eine normale Europakarte. 2.) Leider sind aus Gründen der Vereinfachung zahlreiche preußische Exklaven nicht abgebildet (vor allem auf der Karte Flandern), da mit ihnen zahlreiche Ausnahmeregeln notwendig geworden wären.

Als maximale Spieldauer schwebten mir 3 bis 4 Stunden vor. (Es sind nun 5 Stunden geworden). Wie aber konnte ich die schnellen strategischen Wechsel damit in Einklang bringen? Zunächst wurde das Geschehen auf 5 Jahre verkürzt (also bis zum endgültigen Ausscheiden Preußens 1745), später dann um nochmal ein Jahr (aber schweren Herzens). Vor allem aber mußte ich den Rhythmus des Spiels beschleunigen. Dies führte zum Einführen der Gewaltmärsche und der Schlachtensiege (die ein Katalysator für den Spielsieg sind); aber auch zum Hinauswerfen von allem was unter die Rubrik Verzögerungstaktik fällt (z.B. muß ein General beim Schlagen eines Trosses nicht mehr stehenbleiben), und auch das Austeilen einer anfängliche TK-Hand fällt hierunter (was z.B. die wohlgefüllte preußische Kriegskasse simuliert). Zudem wurden die Versorgungsregeln verschärft: Die Versorgung wird nun vor der eigenen Bewegung kontrolliert und ein umgedrehter General kann nicht erobern. Das sind heftige Daumenschrauben! Durch die Gewaltmärsche sind Abläufe wie 1743/44 möglich, aber mit Gewaltmärschen kann man nicht aus heiterem Himmel angreifen oder aus dem Nichts heraus Trosse schlagen. Damit entspricht der Gewaltmarsch dem Ausnutzen der inneren Linie und ganz nebenbei bekommen die Festungen eine wichtige Blockade-Funktion. (Übrigens: Die 4 Kurfürsten-Festungen auf der Karte Flandern sind enorm wichtig als Flankenschutz für Bayern. Wehe dem, der sie aus den Augen verliert!) — Durch all diese Änderungen spielt sich Maria ganz anders als Friedrich, sozusagen nervöser, das Spielsystem reagiert auf jeden Schenkeldruck, und Fehler verzeiht es kaum.

Ferner wollte ich ins Spiel integrieren:
a) Husaren (die man auch Panduren, Grenzer oder böhmische Bauern hätte nennen können). Lange gab es sie in einer Regel, in der sie fast nie auf dem Brett auftauchten. Das war albern, und wurde von vielen Testern zu Recht bemängelt. In der jetzigen Form sind die Husaren genau richtig: Lästige Plagen, die Feldzüge in Österreich enorm teuer machen. Die Spieler werden die Husaren sehr schnell lieben oder hassen (je nachdem, ob sie Österreich spielen oder nicht)!
b) Kaiserwahl. Der Österreichische Erbfolgekrieg, in dem Bayern den Österreichern nicht die Kaiserkrone abluchsen kann? Undenkbar!
c) Bündniswechsel, Annexion Schlesiens, Verhandlungen, etc.: Preußens Aus- und Wiedereintritt in den Krieg mußte im Spiel möglich sein. Und auch Sachsen als unsicherer Bundesgenosse mußte vorkommen.

Anfänglich als 4-Spieler-Spiel konzipiert, wurde Maria schnell zu einem 3-Spieler-Spiel, zunächst jedoch zu einem, bei dem Österreich und die Pragmatische Armee ein Spieler war. Dies hatte gravierende Nachteile: a) Die beiden Länder spielten zu sehr aus einem Guß; b) Spieler Preußen war am Geschehen auf der Karte Flandern überhaupt nicht interessiert; c) Preußen würde niemals mit Österreich Frieden schließen, wenn es 1 Stunde zum Zusehen verdammt ist, selbst dann nicht, wenn dies dem Spielsieg förderlich wäre. — Ich glaube, es war Sven Grünwitzky, der nach dem ersten realen Test die Idee des schizophrenen Spielers hatte. Und dieses Konzept klappt wirklich sehr gut! Es löst alle oben aufgeführten Probleme auf einen Streich, und historisch ist es sogar vertretbar, da Preußen und England-Hannover nie Krieg gegeneinander führten (auch nicht in der kurzen Zeitspanne des formal herrschenden Kriegszustandes Anfang 1745). Gegenüber Österreich zogen sie sogar an einem sehr ähnlichen Strick: England drängte Österreich stets, Schlesien an Preußen abzutreten, um gemeinsam gegen Frankreich vorzugehen; handelte also durchaus im Sinne Preußens.

Bis hier waren 4 Monate vergangen, und das Design war schon recht weit gediehen. Aber die zentrale Frage eines jeden Spiels hatte ich noch nicht beantwortet, und die Antwort auf diese zentrale Frage sollte 4 Jahre auf sich warten lassen, und nur über einen Umweg zu finden sein. Diese zentrale Frage lautet: Wann hat ein Spieler gewonnen?

Wie oben beschrieben, sollte jedes Land in die strategische Defensive geraten können, und sollte dennoch immer eine Chance auf den Spielsieg haben. Im Laufe der Zeit wurden zehn bis fünfzehn Varianten von Siegsystemen entwickelt, getestet und verworfen. Ich hatte Regeln für Kriegsmüdigkeit, für Abbruch von Offensiven, Kollaps, getrennte Pools für beide Karten, Siegpunkte für Provinzen, verkettete Siegbedingungen, undundund. Entweder funktionierte eine neu eingeführte Siegbedinung überhaupt nicht; oder sie funktionierte gut, war aber ein synthetisches, seelenloses Regelkonstrukt; oder sie funktionierte super, brachte gar die erwünschten simulativen Effekte, aber das Endergebnis war todlangweilig, oderoderoder. – Dieser Prozeß zog sich über Jahre hin, unterbrochen von frustriertem Maria-in-den-Besenschrank-Stellen und anderen Projekten, die ihren Zeittribut forderten.

Manchmal geschehen wundersame Dinge, wenn man über eine Sache einfach nicht nachdenkt. Hier war es das Gären eines dumpfen Gefühls, nämlich, daß einfach die dritte Seite fehlte, nämlich das politische System, mit dem der Schauplatz Italien und die Rolle Rußlands miteingebunden wären. – Lange schreckte ich vor diesem Schritt zurück, um mir nicht noch mehr Regeln ins Boot zu holen. Als ich ihn dann aber endlich tat - und gleichzeitig auch den Wankelmut Sachsens (der davor ein isoliert-konstruiertes Regel-Subsystem war) in ein Gesamtkonzept integrieren konnte, war ich perplex! Denn die Probleme der Siegbedingungen lösten sich plötzlich in Luft auf! Aber wieso? Aus dem einfachen Grund, daß sich Preußen nun ganz anders verhalten muß: Preußen kann zwar auf "Durchmarsch" spielen, sprich keinen Frieden mit Österreich schließen. Wenn dann aber Sachsen das Bündnis wechselt, Schlesien kein Heimatland ist, kein zweiter Troß da ist, und selbst der Alte Dessauer fehlt, dann, gute Nacht, du Kartenhaus Brandenburg! Und nur dadurch wird Maria für Preußen zu dem, was der Einfall in Schlesien in Realität war: ein hochriskanter Drahtseilakt, der auch ganz anders hätte enden können. – Gleichzeitig wird durch das Politik-System das Verhandlungselement enorm gestärkt. Subsidienverträge sind nun an der Tagesordnung (ohne Politik-System gab es sie fast nie), und die Variabilität der möglichen Spielabläufe hat enorm zugenommen.

Obwohl es nie meine Absicht war, sind die Regeln für Maria nun deutlich anders als die für Friedrich. Leider auch komplizierter. Beides begründet sich durch den gänzlich anderen Charakter des Österreichischen Erbfolgekrieges. Was für Friedrich funktioniert, funktioniert nicht für Maria, und umgekehrt. Um die Latte für Neueinsteiger nicht zu hoch zu legen, wurde das Einführungs-Spiel konzipiert, sozusagen ein Friedrich-light, mit klarer Rollenverteilung Angreifer/Verteidiger. So richtig zu leuchten beginnt Maria aber in der Profi-Variante – mit all ihren Verquickungen von Politik, Verhandlungen und Feldzugs-Strategien. Ich hoffe, daß die Spieler hier mit mir übereinstimmen werden, und daß Maria ihnen viele Stunden spannenden Spielspaß schenken wird.

Richard Sivél
Berlin, im Juli 2009



Download der Spielregel
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